Kurbelwellen weinen nicht - Leseprobe

Jojo war zeitig aufgebrochen. Die Übernachtung war erstaunlich günstig gewesen, und die thüringer Sonne warf durch die Laubbäume des Waldes tanzende Flecken auf den Asphalt. Hier kannte sich Jonas aus. Vor Jahren, kurz nach der Grenzöffnung, hatte er an der traditionellen Vierundzwanzigstunden-Fahrt des Allgemeinen Deutschen Motorsportverbandes der DDR teilgenommen. Seit den Sechziger Jahren war die Veranstaltung bekannt unter dem Motto »Tausend Kilometer ohne Bett und Bier«, erlaubt waren nur Zwei- und Dreiräder. Damals hatte die Strecke, gespickt mit etlichen Sonderprüfungen, hier entlanggeführt, und Jojo lernte einige mehr oder weniger legale Abkürzungen kennen. Er und sein Beifahrer, ein alter DDR-Motorsporthase, hatten sich bei der Fahrt abgewechselt und waren schließlich als Vierte ins Ziel gekommen, bevor sie todmüde in die Betten gefallen waren.
An diesem Morgen nun fuhren wenige Fahrzeuge auf den kleinen Straßen, die nahegelegene Autobahn A9 hatte sicherlich Anteil daran, indem sie das Gros des Verkehrs aufnahm. So konnte der Journalist den Quirl aufdrehen, selten kam Gegenverkehr. Die Sonne blinzelte durch die Baumkronen des Thüringer Waldes, deren Blätter sich hier und dort zu färben begannen. Lichtflecken tanzten auf dem Makadam, und Jojo ließ den luftgekühlten Zweizylinder sein sonores Lied singen.
Mit dem leichten unbesetzten Enduro-Beiwagen war er allerdings gezwungen, vor Rechtskurven deutlich abzubremsen. So hatte sich seit einigen Kilometern ein dunkelblauer BMW hinter Jojos Gespann geklemmt, der ständig dichter auffuhr, weil ihm das Dreirad offenbar zu langsam war. Jonas konnte mangelnden Abstand nicht leiden. Was, wenn er plötzlich stark bremsen mußte? Der Nachfolger walzte ihn dann doch platt, er konnte es gar nicht verhindern.
An einem geraden Straßenstück bremste Jojo ab, um den eiligen Bayern vorbeizulassen. Doch der wollte nicht überholen und klebte weiter am Nummernschild des Gespanns. Jojo zuckte die Schultern und gab wieder Gas. Der BMW auch. An irgend etwas erinnerte den Journalisten dieses Auto, er kam aber nicht drauf, was es war.
Schließlich ließ sich der PKW zurückfallen, schloß jedoch gleich danach wieder dicht auf. Wollte er spielen? Jojo kannte eine kurze Nebenstrecke, die durch ein thüringisches Dorf führte. Er setzte den Blinker rechts und bog ab. Der BMW folgte. Ganz offensichtlich hatte er es auf Jonas’ Gespann abgesehen. Der Journalist hatte es durchaus schon erlebt, daß er mit seinem seltenen Fahrzeug aus reiner Neugierde verfolgt wurde, doch so hartnäckig hatte sich noch kein Bewunderer gezeigt.
Als Jojo wieder auf die Landstraße stieß, den PKW nach wie vor dicht hinter sich, wurde es ihm zu bunt. Mal sehen, dachte er, was dein Tieferlegungssatz und deine Breitreifen ausrichten können.
Eine langgezogene Rechtskurve lag vor ihnen, Jonas konnte sich gut an sie erinnern. Im Scheitel der Kurve zweigte ein Waldweg ab, direkt in Verlängerung von Jojos Fahrlinie. Hinter der Kurve kam ihnen ein Sattelschlepper entgegen, der durch den lichten Wald gut zu erkennen war.
Jonas Jordan schaltete einen Gang zurück, ließ den BMW noch dichter auffahren und riß dann das Gas auf. Sein Gespann schoß über die Gegenfahrbahn hinweg, kurz vor der Schnauze des Sattelzugs direkt den Waldweg hinauf. Jojo stellte sich in die Rasten, mit hoher Geschwindigkeit raste sein Enduro-Gefährt über unwegsames Gelände. Hinter sich hörte er die zornige Fanfare des Lasters und quietschende Reifen. Seinem Motor gönnte Jonas keine Verschnaufpause und prügelte das Dreirad weiter über Baumwurzeln, Wackersteine und Grasnarben. Zwei Weggabelungen lagen vor ihm, die ihn der erfahrene Motorsportler damals entlanggeschickt hatte, um abzukürzen. Schotter prasselte, als das Gespann hindurchstob, und der Beiwagen mähte eine lange Reihe verblühter Fingerhüte nieder. Äste knackten und wurden emporgeschleudert, und zwei alte Eschen standen wie Torwächter links und rechts am Waldweg, um kein Fahrzeug hindurchzulassen, das breiter war als Jojos Gespann.
Der Journalist grinste unter seinem Helm. Den Verfolger hatte er abgeschüttelt. Das Fahrwerk der Zuhälter-Schaukel würde es keine zehn Meter weit mit dem Gelände des Thüringer Waldes aufnehmen können.

 

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